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Nicht nur Patienten sind vom ärztlichen Behandlungsvertrag geschützt

Auch volljährige Kinder sind vom Schutzbereich des Behandlungsvertrages zwischen Elternteil und Arzt erfasst und damit potentiell schadenersatzberechtigt.

OGH vom 23.10.2024, 9 Ob 12/24s

Eine 87-jährige Patientin wurde mit Rückenschmerzen und Durchfall aber auch Schmerzen in der Brust in die orthopädischen Abteilung eines Krankenhauses eingeliefert. Die Schmerzen in der Brust wurden im Notruf mitgeteilt aber nicht dem behandelnden Arzt weitergeleitet. Die darauf folgende bloße Abklärung orthopädischer Ursachen ohne weitere notfallmedizinische Abklärung, obwohl Anzeichen und Symptome für eine koronare Erkrankung bestanden, war fachlich nicht richtig und damit ein Behandlungsfehler. Die Patientin wurde in häusliche Pflege entlassen und starb. Der 65-jährige Sohn machte Kosten für das Begräbnis sowie Trauerschmerzengeld in Höhe von insgesamt EUR 25.000,00 geltend. In der Klage wurde dann argumentiert, dass ein besonderes Naheverhältnis zwischen der Mutter und dem erwachsenen Sohn bestand, was die Einbeziehung des Sohnes in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages rechtfertigen sollte.

Der OGH hat nun festgehalten, dass diese besondere Nahebeziehung zwischen Eltern und Kindern für die Drittwirkung des Behandlungsvertrages im Einzelfall gar nicht notwendig ist.

Grundsätzlich macht eine Vertragsverletzung nur dem Vertragspartner gegenüber ersatzpflichtig. Von einer Schutz- und Sorgfaltspflicht zugunsten Dritter am Vertrag nicht beteiligter Personen ist nur dann auszugehen, wenn bei objektiver Auslegung des Vertrags anzunehmen ist, dass eine Sorgfaltspflicht auch in Bezug auf die dritte Person übernommen wurde (vgl. RIS-Justiz: RS0017195). Auch der begünstigte Personenkreis wird durch objektive Auslegung des Vertrags bestimmt (5 Ob 82/19y mwN). Das Naheverhältnis des Dritten muss für den Vertragspartner objektiv und allgemein voraussehbar sein. Ob im Einzelfall abweichende soziale Naheverhältnisse vorgelegen haben, spielt dabei keine Rolle. So auch das besondere Naheverhältnis im hier behandelten Ausgangsfall.

Vor diesem Hintergrund sprach der OGH schon Schmerzengeld für Trauerschaden mit Krankheitswert für folgende Fälle aus:

Für den Ehegatten einer Patientin bei welchen die Lebensgemeinschaft aufrecht war und keine Hinweise auf eine bereits eingetretene Entfremdung bestand (vgl. OGH vom 30.06.2010, 9 Ob 83/09k). Dasselbe gilt für Lebensgefährten (vgl. OGH vom 24.09.2020, 1Ob153/20m). Klargestellt wurde auch, dass unmündige Kinder in den Schutzbereich des Behandlungsvertrag der Mutter zu ihrem Arzt fallen (vgl. 17.08.2023, 5 Ob 82/23d)

Mit der hier besprochenen Entscheidung dehnt der OGH die Schutzwirkung des Behandlungsvertrages eines Elternteils auch auf volljährige Kinder aus. Volljährige Geschwister sind allerdings nicht wechselseitig von der Schutzwirkung eines Behandlungsvertrages erfasst, wie der OGH unter Verweis auf seine Entscheidung vom 24.10.2019, 4 Ob 176/19i festhält.

Der OGH sieht in der Ausdehnung der Schutzwirkung des Behandlungsvertrages eines Elternteils auch auf volljährige Kinder keine Gefahr einer ungebührlichen Ausdehnung der Schutzwirkung eines Vertragsverhältnisses auf einen Dritten. Es handelt sich um die Kernfamilie, sodass bei üblichen Sozialstrukturen, eine auffallende innige familiäre Nahebeziehung zwischen Eltern und ihren (wenn auch bereits erwachsenen) Kindern zu erwarten ist. Es ist zudem für die beklagte Spitalsbetreiberin eben nicht unverhorsehbar, dass auch ältere Patienten Kinder haben können und zu diesen eine lebenslange innige familiäre Nahebeziehung besteht.

Fazit: Mit der gesellschaftlichen Fortentwicklung ist auch der objektive Betroffenenkreis eines Vertragsverhältnisses im Wandel. Wie wohl die Annahme einer engen Beziehung zwischen Eltern und Kindern keine neue Entwicklung darstellt, stellt der OGH nun klar, dass die Schutzwirkung des Behandlungsvertrags auch sie erfasst. Aus den oben zitierten Entscheidungen ist eine Tendenz die Schutzwirkung auszudehnen klar erkennbar. Letztlich erhielt der Kläger EUR 19.205,30 Schadenersatz, wobei hiervon EUR 15.000,00 Trauerschmerzengeld ausmachte.
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